Dieses kleine Krippenspiel schrieb ich schon zu Weihnachten 1998 (daher die alte Rechtschreibung!). Es wurde am Heiligabend in einer Kirche in Berlin-Neukölln aufgeführt und steht jedem frei zur Verfügung.

Die Heilige Nacht
Krippenspiel nach einer Erzählung von Selma Lagerlöf

   

Mitwirkende:

Selma.

Großmutter.

Joseph.

Hirte.

Hunde.

Schafe.

Maria.

Engel.

  Kulissen:

1.      Eine gemütliche Sitzecke mit Sofa und Kerzen

2.      Eine Dorfstraße mit Türen

3.      Eine einsame Bergwiese

4.      Eine Berggrotte mit Krippe 

SELMA (steht vor der Gemeinde): Liebe Gemeinde: Weihnachten ist die Zeit der Geschichten. Heute Abend möchte ich Ihnen eine Geschichte erzählen, die ich einmal vor vielen Jahren von meiner Großmutter hörte. Ich erinnere mich nur noch wenig an meine Großmutter. Ich erinnere mich aber, daß sie schönes, kreideweißes Haar hatte, und daß sie sehr gebückt ging, und daß sie immer dasaß und an einem Strumpf strickte. Ich weiß es nicht anders, als daß Großmutter dasaß und erzählte, vom Morgen bis zum Abend, und wir Kinder saßen still neben ihr und hörten zu. Das war ein herrliches Leben. Es gab keine Kinder, denen es so gut ging wie uns. Dann erinnere ich mich auch, daß sie, wenn sie ein Märchen erzählte, ihre Hand auf meinen Kopf zu legen pflegte, und dann sagte sie: „Und das alles ist so wahr, wie daß ich dich sehe und du mich siehst.“ Von allen den Geschichten, die sie mir erzählte, habe ich nur eine schwache, unklare Erinnerung. Nur an eine einzige von ihnen erinnere ich mich so gut, daß ich sie erzählen könnte. Es ist eine kleine Geschichte von Jesu Geburt. Es war an einem verschneiten Weihnachtstag. Ich war damals fünf Jahre alt.

(Die Szene wechselt zu einer gemütlichen Sitzecke beim Kerzenschein. Großmutter strickt an einem Strumpf.)

 

GROSSMUTTER: Komm her, Selma mein Kind. (Selma setzt sich zu ihr.) Nun ist die ganze Familie zur Kirche gefahren und hat dich und mich hier alleine gelassen, und ausgerechnet heute in der heiligen Nacht! Ist das nicht furchtbar?

SELMA: Aber warum bloß, Großmutter? Warum dürfen wir nicht mit zur Kirche, um die Lieder zu singen und das Krippenspiel und die Weihnachtslichter zu sehen?

GROSSMUTTER: Ach, Selma, ich glaube, du bist noch zu klein dazu und ich bin schon zu alt!

SELMA: Aber das ist doch unfair! Es ist doch Weihnachten und ich will auch etwas erleben!

GROSSMUTTER: Ach, was sprichst du, mein Kind? In der heiligen Nacht kann man sehr viel erleben, aber dafür braucht man nicht in einer kalten Kirche zu sitzen! Du brauchst nirgendwo hinzugehen, du mußt bloß deine Augen öffnen und gut hinschauen.

SELMA: Wie meinst du denn, „gut hinschauen“? Hier gibt’s nichts zu sehen, und außerdem ist es draußen schon viel zu dunkel.

GROSSMUTTER: Ob es hell oder dunkel ist, macht gar nichts aus. Im Dunkeln kann man auch eine Menge Dinge sehen, wenn man nur weiß, wie man schauen muß. Die erste heilige Nacht war genauso kalt und dunkel wie diese, und trotzdem haben die Hirten auf dem Feld vor Bethlehem ein großes Licht gesehen.

SELMA: Erzählst du mir wieder die Geschichte von den Hirten und den Engeln, Großmutter?

GROSSMUTTER: Na, die Geschichte kennst du ja schon. Nein, dieses Mal erzähle ich dir eine andere Geschichte: von einem einzigen Hirten, der immer ganz im Dunkeln lebte. Aber sie ist auch wahr, genauso wahr, wie daß ich dich sehe und du mich siehst. Gut, ich erzähle sie dir. Vielleicht ist das wirklich das beste, was wir in so einer Nacht machen können.

Also gut. Es war einmal ein Mann, der in die dunkle Nacht hinausging, um nach Feuer zu suchen. Er ging von Haus zu Haus und klopfte an.

JOSEPH (an einer Tür klopfend): Ihr lieben Leute, helft mir! Meine Frau hat eben ein Kind geboren, und ich muß Feuer anzünden, um sie und den Kleinen zu erwärmen! (Klopft an einer anderen Tür) Ihr lieben Leute, macht auf! Helft mir, bitte!

GROSSMUTTER: Aber es war tiefe Nacht, so daß alle Menschen schliefen, und niemand antwortete ihm. Der Mann ging und ging, bis er endlich in weiter Ferne einen Feuerschein erblickte. Eine Menge weißer Schafe lagen rings um das Feuer und schliefen, und ein alter Hirte wachte über der Herde.

(Die Bühne wird schwach beleuchtet. Der alte Schäfer sitzt am Feuer, seine Hunde und Schafe um ihn her.)

Lied: „Als ich bei meinen Schafen wacht‘.“

SELMA: War der Hirte lieb?

GROSSMUTTER: Nein, das war kein besonders lieber Hirte, wie man es sich in einer Weihnachtsgeschichte vorstellt. Nein, er war ein alter, mürrischer Mann, der böse und hart gegen alle Menschen und alle Fremden war.

HIRTE: Oh, ist das kalt heute Nacht, und mein Feuer ist auch schon fast ausgegangen. Was ist das bloß für ein Beruf, Hirte zu sein und jede Nacht im Freien zu nächtigen? Warum habe ich mich darauf eingelassen, vor allem jetzt, wo es so viele jüngere Hirten gibt und wo ich jeden Augenblick auf die Straße landen kann? Und in meinem Alter! Und nun kommen alle diese samaritanischen und galiläischen Hirten zu uns und nehmen uns unsere Arbeit weg. Das auch noch! Jaja, man sagt immer, man soll den Armen und Fremden helfen – Nächstenliebe nennen die das - aber wer hilft mir? Das ist wirklich eine grausame, ungerechte Welt. Da würde ich gern jemanden treffen, der meint, ihm geht’s schlechter als mir! Dem könnte ich einiges erzählen. Ha! (Schaut auf Joseph) He, wer kommt denn da, mitten in der Nacht. Hey du! Was machst du da überhaupt? Das sind nicht deine Schafe! Verschwinde hier!

JOSEPH: Bitte, ich brauche deine Hilfe!

HIRTE: Was, meine Hilfe brauchst du? Und wie einer von diesen Galiläern hörst du dich auch an. Klar, nun sollst du meine Hilfe erleben. Steht auf, Hunde, packt den da und zeigt ihm, wer hier das Sagen hat!

(Die Hunde springen auf und greifen Joseph an, aber er geht unbeirrt seinen Weg.)

GROSSMUTTER: Die Hunde sperrten ihre weiten Rachen auf, als ob sie bellen wollten, aber man hörte keinen Laut. Der Mann sah, daß sich die Haare auf ihrem Rücken sträubten, er sah, wie ihre scharfen Zähne funkelnd weiß im Feuerschein leuchteten, und wie sie auf ihn losstürzten. Er fühlte, daß einer sich an seine Hand und einer sich an seine Kehle hängte. Aber die Kinnladen und die Zähne, mit denen die Hunde beißen wollten, gehorchten ihnen nicht, und der Mann litt nicht den kleinsten Schaden.

SELMA: Warum nicht, Großmutter?

GROSSMUTTER: Das hörst du gleich, mein Kind.

HIRTE: He, was ist mit meinen Hunden los? Was hast du mit ihnen gemacht? Na, noch bist du nicht da. Ich habe hier fünfhundert Schafe, mein Freund, sobald die aufstehen und anfangen, zu springen, kommst du nie und nimmer durch.

(Joseph wandelt friedlich durch die Schafe hindurch bzw. steigt über ihre Rücken weg.)

GROSSMUTTER: Die Schafe lagen so dicht nebeneinander, Rücken an Rücken, daß er nicht vorwärts kommen konnte. Da stieg der Mann über die Rücken der Tiere und wanderte über sie hin dem Feuer zu. Und keines von den Tieren wachte auf oder regte sich.

SELMA: Warum regten sie sich nicht, Großmutter?

 

GROSSMUTTER: Das wirst du nach einem Weilchen schon erfahren.

 

HIRTE: Nun ist der fast bei mir! Ein Schritt näher, Freund, und du wirst diesen Stab zu fühlen bekommen! Na denn!

 

(Er wirft ihm den Stab entgegen, der an ihm vorbeisaust.)

 

SELMA: Aber Großmutter, warum wollte der Stock den Mann nicht schlagen?

 

GROSSMUTTER: Warte noch ein bißchen. Nun stand der fremde Mann direkt vor dem Hirten.

 

JOSEPH: Guter Freund, hilf mir und leih mir ein wenig Feuer. Meine Frau hat eben ein Kind geboren, und ich muß Feuer machen, um sie und den Kleinen zu erwärmen.

HIRTE: Donnerwetter! Gut.... Meinetwegen, nimm soviel du brauchst. (Er merkt, daß der Mann mit leeren Händen dasteht und fängt an zu lachen.) Hey, Kumpel wie willst denn die Kohlen fortschleppen? Du hast nicht einmal eine Schaufel oder einen Eimer mit. Willst du etwa das Feuer in deinen bloßen Händen tragen? Na gut, mach schon, nimm soviel du brauchst!

(Joseph hebt das funkelnde Feuer auf, hält es einen Augenblick hoch, und steckt es dann in seine Tasche)

GROSSMUTTER: Aber der Mann beugte sich hinunter, holte die Kohlen mit bloßen Händen aus der Asche und legte sie in seinen Mantel. Und weder verbrannten die Kohlen seine Hände, als er sie berührte, noch verbrannten sie seinen Mantel, sondern der Mann trug sie fort, als wenn es Nüsse oder Äpfel gewesen wären.

SELMA: Aber Großmutter, das kann doch nicht wahr sein! Warum hat das Feuer den Mann nicht gebrannt?

GROSSMUTTER: Das wirst du schon erfahren.

HIRTE: Das glaube ich einfach nicht, ich muß verrückt geworden sein! Was kann dies bloß für eine Nacht sein, wo die Hunde nicht beißen, die Schafe nicht erschrecken, der Stab nicht tötet und das Feuer nicht brennt? (Joseph dreht sich um und geht fort.) Hey du, stopp! Was ist dies für eine Nacht? Und woher kommt es, daß alle Dinge, die du anfaßt, dir... dir... ja, wie soll ich’s nennen, daß sie dir alle Nächstenliebe zeigen?

JOSEPH (sich kurz umdrehend): Ich kann es dir nicht sagen, wenn du es selber nicht siehst.

HIRTE: Aber was heißt das überhaupt? Was soll ich denn sehen? Ich versteh‘ gar nichts! Hey, Galiläer, komm’ zurück und erkläre es mir!

GROSSMUTTER: Er stand auf und ging ihm nach, bis er dorthin kam, wo der Fremde wohnte.

Lied: „Kommet, ihr Hirten“.

GROSSMUTTER: Da sah der Hirte, daß der Mann nicht einmal eine Hütte hatte, sondern er hatte seine Frau und sein Kind in einer schwarzen Erdhöhle liegen, wo es nichts gab als nackte, kalte Steinwände.

(Szenenwechsel: eine kahle, dunkle Bühne im Kerzenschein;, Maria und Joseph mit dem Kind in der Krippe.)

HIRTE: Mensch, wie die hier hausen! Die haben gar keine eigene Wohnung. Und diese Dunkelheit! Die brauchen wirklich meine Hilfe. Und das arme Kind! Mensch, das kann doch erfrieren hier in der Höhle! (Er löst seine Ranze von der Schulter.) Vielleicht habe ich irgendetwas da, um es wenigstens warm zu halten! (Er zieht ein weiches Schaffell hervor.) Hier, Galiläer, das ist für das Kind. Wenn alles andere dir Nächstenliebe zeigen kann, so kann ich’s doch auch.

GROSSMUTTER: Aber in demselben Augenblick, in dem er zeigte, daß auch er Nächstenliebe erweisen konnte, wurden ihm die Augen geöffnet, und er sah, was er vorher nicht hatte sehen, und hörte, was er vorher nicht hatte hören können.

(Die Bühne wird hell beleuchtet, große und kleine Engel werden sichtbar.)

ENGEL: Ehre sei Gott in der Höhe und den Menschen ein Wohlgefallen!

Lied: „Vom Himmel hoch.“

HIRTE: Ja, ich erinnere mich, denn so habe ich’s einmal gelesen: „Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht, und für die, die im Land der Finsternis wohnen, leuchtet ein Licht auf. Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter.“ Nun kann ich endlich sehen, und nun begreife ich, warum in dieser Nacht alle Dinge so froh waren, daß sie niemand etwas zuleide tun wollten.

GROSSMUTTER: Es herrschte Jubel und Freude und Singen und Spiel, und das alles sah er in der dunklen Nacht, in der er vorher überhaupt nichts sehen konnte außer seinem eigenen Kummer. Und er wurde so froh, daß seine Augen geöffnet waren, daß er auf die Knie fiel und Gott dankte. Aber ich sage dir etwas, Selma: was der Hirte sah, das können wir auch sehen, denn die Engel fliegen in jeder Weihnachtsnacht unter dem Himmel und auch zu jeder anderen Zeit, wenn wir sie nur sehen wollen.

(Die Grotte wird langsam verdunkelt, bis man sie nicht mehr sieht.)

SELMA: Das war aber eine schöne Geschichte, Großmutter. Ich kann’s auch fast sehen!

GROSSMUTTER (legt ihr die Hand auf den Kopf): Dies sollst du dir merken, denn es ist so wahr, wie daß ich dich sehe und du mich siehst: Nicht auf Lichter und Lampen kommt es an, und es liegt nicht an Kirchen und Kränzen, sondern was zählt, ist, daß wir Augen haben, die Gottes Liebe und Nähe schauen können.

Lied: „Stille Nacht, heilige Nacht“

Carl Larsson, Der Julabend (1904)